Drei Tänzer*innen durchqueren Pina Bauschs prominente Choreografie „Café Müller“ und greifen emblematische Gesten auf. Im Kopf des Zuschauers wird sofort eine Bildmaschine losgetreten: Die sehnsuchtsvoll vor dem Körper geöffneten Handflächen lassen Bilder von christlicher Ikonographie bis zu Zombie-Filmen imaginär entstehen. Doch dann beginnen die Tänzer*innen, das Material zu unterbrechen und mit eigenen Fragestellungen zu besetzen. Zwei parallele Prozesse auf der Bühne werden initiiert, die Bewegungen aus „Café Müller“ werden mehr und mehr ausgelöscht und überlagert, ähnlich dem Vorgang des Wiederbeschreibens.
Spätestens seit Wim Wenders‘ Hommage PINA hat sich „Café Müller“ in unser kulturelles Gedächtnis eingeprägt. Die Choreografie wird gern als eine nostalgische Liebesklage gelesen, in welcher Verlust betrauert, Nähe und Verlorenes gesucht wird, in der man sich umarmen, spüren, verletzen, schützen und lieben will. Das Stück entspricht dem, wie wir in unserer Kultur auf Vergangenes zu schauen. ERASING CAFÉ M ruft diesen spezifischen Modus des Erinnerns auf, um ihn zu befragen, fragil werden zu lassen und alternative Möglichkeiten zu eruieren, mit Vergangenem und Verlorenem umzugehen.
„Schon der Raum besticht. (…) Blasius und sein Dramaturg Daniel Franz reduzieren bis zur Essenz. (…) Wie verschobene Zitate: Wenn die Tänzer in großen Sätzen von einer Ecke zur anderen spurten, dass der Bühnenboden kracht, hört und sieht man förmlich bei Bausch die Stühle fallen. Kontrastiv dagegen gesetzt sind abgewinkelte Posen und Schwünge aus dem Modern Dance. Vielleicht funktioniert ERASING CAFÉ M deswegen so gut, weil etwas, das man auslöschen will, zunächst einmal vorhanden sein muss. Hier wird nicht mühsam verhandelt, was man überhaupt erinnern kann, sondern souverän mit dem gespielt, was man hat.“
Münchner Feuilleton
Choreographie: Sebastian Blasius
Dramaturgie: Daniel Franz
Raum: Ralf Ziervogel
Sound: Christoph Korn
Tanz: Maya Weinberg, Joris Camelin, Yaara Dolev