SCHIFFBRUCH MIT ZUSCHAUENDEN (Fünf Etüden), 2022

Regie: Sebastian Blasius // Text: Björn SC Deigner // Raum/Kostüme: Caspar Pichner // Assistenz: Melina Brinkmann // Performance: Katja Gaudard, Hauke Heumann, Johanna Ackva, Katharina Shakina // Kompliz*innen: Ulrike Grossarth, Jörn Etzold, Julia Schade, Ulrike Haß, Marcus Quent

Die ursprüngliche Überlegung von Sebastian Blasius für „Schiffbruch mit Zuschauenden (5 Etüden)“ war, dass alle Bestandteile des westlichen Theaters von Grund auf in Macht und Souveränität involviert sind. Sei es die Heldenfigur, die als handlungsmächtiges Individuum den Gang der Dinge entscheiden muss; oder wie linear Zeitlichkeit auf der Bühne verhandelt wird und wie damit Prinzipien fortgeschrieben werden, die von Prozessen der Ökonomisierung und Kolonialisierung nicht zu trennen sind. Sind derartige ‚Souveränitätseffekte‘ im Zuge der Klima- und Coronakrise, die uns unsere Fragilität vor Augen führen, noch zeitgemäß? Und wie lässt sich ein alternativer Umgang mit den Praktiken des Theatermachens finden – was wären stattdessen die Potenziale eines ‚Theaters des Unsouveränen‘?
Sebastian Blasius nähert sich mit seinem Team experimentell der Konfiguration eines solch alternativen Theatermodells. Zum Prozess gehörte die Erarbeitung von Texten mit dem Autor Björn SC Deigner. Sein Schreiben stellt den experimentellen Erprobungen auf der Bühne sehr konkrete Themen wie Ukraine, Europa und Flucht gegenüber. „Schiffbruch mit Zuschauenden (5 Etüden)“ will mit politischem Anspruch dennoch fragil bleiben; will den Blick verunsichern, um im Sehen eine Gemeinschaft der Verletzlichen zu suchen. Die Arbeit versteht sich als nicht weniger als eine ‚Operation am offenen Herzen‘ des Theaters.

„Die theatralen Welten, die sich in der Arbeit von Sebastian Blasius entfalten, haben das Potential dringende gesellschaftliche Fragen in ästhetisch-sinnliche Konstellationen zu verdichten, in denen sich ein andersartiges Denken ereignen kann. Daraus entstehen reflexive szenisch-chorische Landschaften, deren Rhythmus, Klang und Sprache jede Harmonie und Symmetrie aufbrechen und nach Antworten in den Trümmern der Repräsentation suchen. Als Künstler, der zwischen Medien und Diskursen mäandriert, schärft Blasius unseren Blick für jene Krisenszenarien der Gegenwart. Die Figur der Fragilität, die sich dabei performativ durchsetzt, ist die Signatur eines postsouveränen Theaters, dessen Gesten das Unregierbare ausloten und tradierte Grenzziehungen von Sein und Schein unterlaufen. Gleichzeitig ist es ist ein Theater radikaler Instabilität, ein Aufbruch ins Offene, Ungedachte und Unkalkulierte.“ (Dr. Andrej Mirčev)

FLOOD (2022)

An der Schnittstelle von Choreographie, Installation und Klangkunst thematisiert FLOOD das Thema des „Flutens“ als Daseins- und Protestform im Kontext von Globalisierung und Klimawandel. Die Arbeit im Berliner Humboldt Forum bezieht sich auch auf eine besondere Form des Protests in der Geschichte des Berliner Stadtschlosses: Gegen den Bau des ersten Schlosses im 15. Jahrhundert protestierten Berliner Bürger*innen, indem sie die Staudämme zur Spree einschlugen und die Baustelle unter Wasser setzten. In der Debatte um den Bau des Humboldt Forums als Rekonstruktion des Stadtschlosses und dessen politische Implikationen hätten sich manche einen ähnlich widerständigen Akt gewünscht. Haben Akte und Formationen des Flutens, (Durch)strömens und Verflüssigens heute noch ein widerständiges Potenzial, oder sind sie in Zeiten globaler Informations-, Finanz- und Datenströme längst selbst zu einer Form der Macht geworden? FLOOD, eine Durationalperformance, lotet die Potenziale und Ambivalenzen dieser Begriffe aus. Performer*innen sind 5 jugendliche Berliner*innen, die als Post-Millenials in besonderer Weise von gegenwärtigen und künftigen Fluten betroffen sind.

Choreographie: Sebastian Blasius, Felix Ofosu Dompreh // Sound: Ferdinand Breil // Performance: Paul Grabow, Ophelia Onyeukwu, Anna Moser, Ella Genrich, Cosima Kühn

absent wolves (2021)

Ein Projekt im Kontext von beuys2021: Stimmen aus der Stadtgesellschaft Düsseldorfs und Essens treffen auf nomadische Praktiken treffen auf Anleitungen zur Wolfsjagd. Wir haben uns an die abwesenden Wölfe gewöhnt, als Resultat ihrer gezielten Ausrottung: Mit dem Sesshaftwerden des Menschen wurde der Wolf zu unserem Konkurrenten erklärt. Seiner natürlichen Jagdgründe beschnitten, drang er in die menschengemachte Ordnung ein, bediente sich am Nutztierbestand. Wer hingegen könnten wir sein, wenn wir ein anderes, nicht beherrschendes Verhältnis zu unserer Umwelt entwickelt hätten, in der auch der Wolf koexistieren könnte? Das Performanceprojekt experimentiert mit neuen Formen des Kollektiven und Nomadischen und bezieht Stimmen von Bürger*innen Düsseldorfs und Essens mit ein: Welche alternativen Weisen des In-der-Welt-Seins sind für sie vorstellbar? Wie lebt es sich ohne Wölfe? Die Arbeit ist installativ angelegt, Zuschauer*innen können den Zeitpunkt ihres Kommens und Gehens während der fünfstündigen Dauer frei wählen.

Konzept/Regie: Sebastian Blasius // Raumgestaltung: Ralf Ziervogel

Darsteller*innen/ Mitwirkende: Calvin-Noel Auer, Nadja Bruder, Fabian Hagen, Annelie Korn, Leon Rüttinger, Pujan Sadri, Clara Schwinning (Abschlussjahrgang »Schauspiel« der Folkwang Universität der Künste Essen/ Bochum)

BEUYS‘ KÜCHE (2021)

Im Mai 1921 wurde mit Joseph Beuys einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts in Krefeld geboren. Zu seinem 100. Geburtstag lud das Theater Krefeld/ Mönchengladbach Sebastian Blasius ein, einen performancebasierten Theaterabend zu inszenieren – mit Texten von Christoph Klimke, Björn SC Deigner und anderen –, der sich mit Beuys‘ Wirken auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht der Versuch, mit theatereigenen und theaterfremden Elementen an Beuys‘ künstlerische Prinzipen anzudocken, sie für das Theater fruchtbar zu machen und das Theater im selben Zug zu befragen. Ein Teil bearbeitet das Motiv einer protagonistisch auftretenden Verkünderfigur, die auf Beuys und seine partielle Selbsterhöhung als Hirte, aber auch auf heutige, vermeintlich sinnstiftende Verkünderfiguren in ihrer Ambivalenz verweist. Ebenso wird die Idee eines permanenten Gesprächs aufgegriffen, bei dem Gedanken zu gesellschaftlicher Veränderung modelliert werden, wie Beuys es bei der documenta 1972 versuchte.

Konzept/ Inszenierung Sebastian Blasius / Bühne/ Kostüm Caspar Pichner / Dramaturgie Martin Vöhringer / Text Christoph Klimke, Björn SC Deigner, Anne Tismer, Kaja Draksler u.a. / Mit Jannike Schubert, Eva Spott, Paul Steinbach, Philipp Sommer, Ronny Tomiska, Bruno Winzen

Die Uraufführung ist Theater im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs; keine Bühnenerzählung mit Figuren, die Identifikationsangebote machen, sondern ein vielstimmiger, installativer Diskursraum, vielleicht der Versuch einer Sozialen Plastik oder der Versuch, dem auf die Schliche zu kommen, was eine Soziale Plastik sein könnte. (…) „Beuys‘ Küche“ (ist) sowohl weit und lang nachhallende Echokammer als auch kritische Reflexion eines Künstlers, der keine klaren Grenzen zwischen Kunst, Leben, Politik und Spiritualität gezogen hat, dessen radikales Denken und Handeln bis heute Wellen schlägt. (…) Der Theaterabend könnte den klugen Anfang eines langen Gesprächs im Geiste einer Beuysschen „permanenten Konferenz“ bilden.
nachtkritik.de

CHÖRE DES SPEKULATIVEN (2020)

Im antiken Drama war der Chor zentrales Element auf dem Theater – er fand seinen Platz zwischen den Protagonist*innen und dem Publikum. Mit dem Theater der Neuzeit verschwand er tendenziell von den Bühnen und mit ihm die kommentierende oder infragestellende Stimme des Kollektivs. ‚Chöre des Spekulativen‘ mutmaßt, was der Chor zu den Texten und Szenen der Neuzeit zu sagen, wie er sich zu ihnen verhalten hätte, wäre er nicht von ihnen ausgeschlossen worden: Wie hätte er sich positioniert zum Theater des Barock, zum Theater der Aufklärung, wie zum Theater der Nachkriegszeit? Wie hätte er diese Szenerien, die zumeist das Individuum ins Zentrum stellen, kommentiert, wie sie konterkariert, wie hätte er ihnen beigewohnt? ‚Chöre des Spekulativen‘ lädt ein zur Begegnung mit einem Chor, der sich spekulativ-retrospektiv wesentlichen Stationen der Theatergeschichte annähert. Autor*innen aus Jordanien, Brasilien, China, der Türkei, Marokko, Burkina Faso, Griechenland und Deutschland schreiben nachträglich chorische Stimmen in stilbildende Szenen des ‚westlichen Kanons‘ hinein und perspektivieren sie dadurch neu. In einer szenischen Installation werden die Zuschauer*innen Teil einer mobilen Gemeinschaft, die ihre Perspektive(n) stetig neu wählen kann. 

Regie: Sebastian Blasius / Raum: Mark Lammert / Dramaturgie: Dirk Baumann / Licht: Jakob Boeckh

Mit: Berit Jentzsch, Leonard Dick, Alexandra Finder, Fabian Hagen, Maria Helgath, Brigitta Schirdewahn

Mit Texten von Ebru Nihan Celkan, Vinicius Jatobá, Amahl Khouri, Paul P. Zoungrana, Karima El Kharraze, deufert + plischke, Zhu Yi, Björn SC Deigner, Antigone Akgün, Sophokles, Henrik Ibsen, Jean Racine, Molière, Samuel Beckett, William Shakespeare, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller u.a.

„Eine hoch elaborierte, in seiner fragmentarischen Dichte kryptisch bleibende Sprech-Spiel-Choreografie ist daraus geworden, die Mythen und Stile zu verknüpfen sucht (…). Die Spieler gehen dabei immer gemäßigt, gezielt quer im leeren Raum umher, positionieren sich bedächtig zu Tableaus, schauen sich spannungsreich an und wippen ihre eigenen Rhythmen. Gesucht ist in allem der Chor der Vielen.“
Berliner Zeitung

„Die performative Spekulation über chorische Formen des Zusammenseins liest sich (…) als kritischer Kommentar über die beschädigte Gesellschaft des „Westens“, in der Begriffe wie Solidarität, Ethik oder Gerechtigkeit jede Bedeutung verloren haben und keinen Bezug mehr zur sozialen Praxis herstellen können. (…) (Es) stellt sich die entscheidende Frage: wie kann man zusammen und dennoch anders und divers sein?“

 

(UN)GERÜSTET ZUM LEBENSKAMPF (2019)

Das Projekt im Kontext von ‚Bauhaus100‘ in Krefeld verbindet Elemente des Swingtanzens mit der Archaik des Boxens, um die Utopie des Bauhauses ebenso wie unsere Gegenwart zu befragen. Im Zentrum der installativen Performance steht ein Buzzer aus dem Kontext von Quizshows. Damit performative Sequenzen im Raum passieren, muss jemand der Zuschauer*innen ihn betätigen. Hörbar wird dann Swing, einige Performer*innen treten hervor und tanzen gekonnt, auch die Zuschauer*innen können nach Belieben einsteigen. Die Swingsequenzen dauern einige Momente an, brechen dann ab und werden erst auf erneuten Knopfdruck fortgesetzt. Aus den Tanzsequenzen schält sich allmählich ein Boxkampf heraus, der den Mechanismus des Buzzerdrückens mit realer Gewalt kurzzschließt und mehrere gesellschaftliche Fragen aufwirft. Auch zur Fortsetzung des Boxkampfs muss stets der Buzzer gedrückt werden. Die Zuschauer*innen sehen sich in einen Dissens verwickelt, ihre Schaulust zu befriedigen oder durch ausbleibendes Buzzerdrücken das Ende der Aufführung zu verantworten – sie müssen sich selbst aktiv zu Fragen der Solidarität verhalten.

Regie: Sebastian Blasius / Installation: Ralf Ziervogel / Sound: Bojan Vuletic
Performance: Miriam Arnold, Alina Reißmann, Jakob Boeckh, Gabriel Carneiro, Adrian Sky Karategin, Gabriel Ruscic

DIE RÄUBER DER GESCHICHTE (2018/19)

DIE RÄUBER DER GESCHICHTE ist ein Format an der Schnittstelle von Symposium, Installation und Performance. Sebastian Blasius hat vier Autor*innen und Wissenschaftler*innen beauftragt, einen möglichen anderen Verlauf der Geschichte zwischen Westeuropa und dem Nahen Osten auszuformulieren. Im Zentrum die Fragen: Was wäre wenn? Wer könnten wir sein?
Die gängigen Vorstellungen von einer Rückständigkeit des Westens gegenüber dem Iran seien nicht länger haltbar, heißt es in einem Text. Ein anderer mutmaßt, wie sich ein interkultureller Dialog mit den osmanischen Unterdrückern gestalten ließe. Performt von Anne Tismer, entstehen Zerrbilder unserer Wirklichkeit, in denen implizit neue Perspektiven auf unsere Version der Geschichte, aber auch auf unser Selbstverständnis aufscheinen. Die Nähe zu Fake News scheint greifbar, dabei so präzise formuliert, dass man fast selbst daran zu glauben beginnt.

Regie: Sebastian Blasius // Performance: Anne Tismer / Alina Reissmann, Marina Aikaterini Rouka, Eloisa Arreola, Anna Kempin, Blue Sahiti // Video: Ian Purnell // Dramaturgie: Dirk Baumann
Auf der Grundlage von Texten von: Dr. Behrang Samsami, Dr. Huda Zein, Gerrit Wustmann, Dr. Asiem El Difraoui

„Eine Performance, (…) die das westeuropäische Selbstverständnis infrage stellt. Eine ambitionierte, anspruchsvolle Herausforderung für die Zuschauerinnen und Zuschauer und die Darstellerinnen auf der Bühne.“
Radio Köln

VANITAS (2017/18)

Nach CHIMAIRA (2016) ist VANITAS eine weitere installative Performance für eine/n einzelne/n Zuschauer*in. Alle 30 Minuten betritt ein Besucher den Aufführungsraum. Zuvor bekommt er ein Armband angelegt, mit dem sein Puls laut hörbar wird. Im Raum befindet sich eine lange Tafel, an der bereits zahlreiche Personen sitzen, am Kopfende ist noch ein Platz für den Besucher frei. Die Personen am Tisch bewegen sich im Takt der Pulsfrequenz des Besuchers, sie schauen ihn eindringlich an, Texte werden gelesen, so zur Niederbrennung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. Nach und nach stehen die Darsteller auf und verlassen den Raum, bis der Besucher am Ende allein bleibt und auch sein Puls verstummt. VANITAS ist ein Kammerspiel und imaginäres Tischgespräch über Zugehörigkeit, Identität, Werden und Vergehen in Zeiten der Globalisierung.
Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit einem der GROUND SUPPORT-Preise des NRW Kultursekretariats im Rahmen des FAVORITEN Festivals 2018.

Regie: Sebastian Blasius // Sound: Klaus Janek // Mit: Norman Grotegut, Silvia Westenfelder, Anna Kempin, Thomas Nellen, Eloisa Arreola, Alina Reissmann, Vincent Wodrich, Florin Engels, Miriam Arnold, Nicolay Kaps, Hannah Sampé, Jonathan Tillmann, Lino Jötten

„Am eindrücklichsten spielt ‚Vanitas‘ mit der Unsicherheit des Betrachters als mit etwas, das sich im Puls niederschlägt, körperlich. Die große Qualität liegt dabei in den Details. (…) ‚Vanitas‘ reiht sich nicht einfach in die Serie >immersiver< Theaterarbeiten ein, es löst sie vielmehr zugleich – von innen – auf. (…) (Es lässt) uns den irreduziblen Rest unserer unauflösbaren Andersheit erfahren. (…) Von dieser Erfahrung her müsste (…) jedes sich immersiv nennende Theater (…) neu beleuchtet werden.“
Theater heute

„Unsicherheit überrollt einen. Die dann erklingenden Texte verstärken das Gefühl der Überforderung noch einmal.“
Theater der Zeit

„So schreit ‚Vanitas‘ einen mit all seinen klugen Referenzen und choreografierten Effekten an, wie sehr man sich schuldig macht durchs stumme Dasein (…).“
Kölner Stadt-Anzeiger

OSMO (2017)

Beethovens letztes Streichquartett trifft auf eine Installation trifft auf Publikum. OSMO ist ein Langzeitformat über mehrere Stunden, Besucher können den Zeitpunkt ihres Kommens und Gehens selbst bestimmen. Im Raum läd eine raumgreifende Bodenzeichnung aus Salz, herumliegende Briefe sowie ein Rondell aus Vorhängen zum Umhergehen ein. Die dabei entstehenden Geräusche – etwa das Knirschen der Schritte auf der Salzfläche – wirken ebenso wie die physische Anwesenheit der Besucher auf das Spiel des Streichquartetts ein, fordern das ungestörte, intime Zusammenspiel dieser abendländischen ‚Königsgattung der Kammermusik‘ heraus. Wie lässt sich also ein bestehendes System – hier das des Quartetts – auf andere, fremde Einflüsse öffnen, ohne die ihm eigenen Prinzipien aufzugeben? Wie lassen sich diese externen Informationen in das Quartettspiel aufnehmen, ohne sie allzu selbstverständlich zu integrieren oder sie partout außen vor zu lassen? Wie lassen sich die Grenzen eines Systems überschreiten, ohne sie aufzuheben? Im Gegenzug beeinflusst das Spiel des Quartetts gerade in seinen rhythmischen oder klangstarken Passagen wiederum die Bewegungen der Besucher im Raum. Es entsteht ein osmotischer Prozess, eine gegenseitige Einflussnahme, die die klassische Trennung zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen Zuschauern und Performern verschwimmen lässt.

„With OSMO (…) Sebastian Blasius has directed a musical performance with Berlin’s Sonar Quartett that hardly anyone can recognise as a musical performance. Grating sounds, such as a bow across the hollow wood of a violin, are woven into familiar bursts of classical music. Recordings of children reciting the capitals of countries become a metronome. The musicians keep moving around, and so do the audience.
What results is a space where the line between performer and spectator is blurred. There is also a blurring of the lines separating the arts, so one is constantly stimulated in surprising ways. The ever changing constellations of people, lights, sounds and visuals creates something completely fresh and original. An engaging experience.“
englishmaninberlin.wordpress.com

Regie: Sebastian Blasius
Mit: Sonar Quartett
Raum: Ralf Ziervogel
Sound: Björn SC Deigner

DAS KOMMENDE VERSCHWINDEN (2017)

Preenactment einer fiktiven Konferenz von Sebastian Blasius

Wir schreiben das Jahr 2045 und befinden uns in einer Dystopie: Der Rechtspopulismus hat die Oberhand gewonnen und linke Positionen an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt; nicht enden wollende Migrationsströme führen zu einer Abschottung Europas und ausufernden Auffanglagern an den Außengrenzen; Terrorismus ist zum Alltagsphänomen geworden und die Digitalisierung hat circa die Hälfte aller Arbeitsplätze ersetzt. Die Entwicklungen seit 2017 hätten für den Großteil der Bevölkerung nicht schlechter laufen können. All jene Privilegierten, die es trotz oder gerade wegen dieser Umstände zu etwas gebracht haben, ziehen sich in Gated Communities zurück. Alle anderen, die »Unnützen«, deren Fähigkeiten nicht mehr profitabel, deren Leben volkswirtschaftlich »wertlos« geworden ist, leben hochgradig prekär, nomadisch und oftmals wohnungslos.
Für »Das kommende Verschwinden« hat Sebastian Blasius sieben Wissenschaftler*innen u.a. aus Sozialwissenschaft, Migrationsforschung, Architektur, Technik und Philosophie eingeladen, sich das oben beschriebene Szenario vorzustellen. Aus der Perspektive ihres Faches halten die Forscher*innen nun einen Vortrag im Rahmen einer fiktiven Konferenz. Retrospektiv schauen sie von 2045 auf 2017 zurück und analysieren die Gesellschaft unserer Gegenwart: Was waren unsere Handlungsräume, die Dystopie zu verhindern? Welche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten hatten wir, die wir übersehen haben – und warum? Welche Gefahren haben wir ignoriert, welche Optionen verpasst, welche Utopien gegen kurzfristiges Handeln eingetauscht? Wie gedenken wir all jenen, die den Kampf um ein einträgliches Leben verloren haben? Sechs Künstler*innen haben Entwürfe für ein fiktives Memorial erarbeitet, das an die Opfer dieser Entwicklung erinnern soll. Diese sind zeitgleich zur Konferenz in Form einer Ausstellung zu sehen. Es handelt sich um Memorialentwürfe von: Manaf Halbuni, Artúr von Balen, Frank Campoi, Elisabeth Maier/Ralph Drechsel, Christoph Korn, ongoing project
»Das kommende Verschwinden« ist eine interdisziplinäre Arbeit an den Grenzen von wissenschaftlichem Symposium, Theateraufführung und Bildender Kunst. Sie verwebt verschiedene Realitäts- und Fiktionsebenen und spielt gleichermaßen mit Elementen des Dokumentarischen sowie der Fiktion.

Die Konferenz versammelte folgende Wissenschaftler*innen und Vorträge:
PD Dr. Michael Hirsch (Politikwissenschaftler), München: Self-fulfilling prophecies – Dystopische Zukunftsbilder vom Kampf aller gegen alle // Ceren Türkmen, Migrationsforscherin (Gießen): Flucht aus Europa: Von der Zerschlagung der Kanaksta-Rebellion zur Neuerfindung der weißen Rasse (2017 – 2047) // Prof. Dr. Knut Ebeling, Archivforscher (Berlin): 2045 – Das Gedächtnis der Gegenwart // Prof. Dr. Klaus Mainzer, Experte für Big Data und Künstliche Intelligenz (München): Technisch-wissenschaftlicher Alltag 2045 diesseits und jenseits von Utopie und Dystopie // Dr. Saskia Hebert, Stadtforscherin/Architektin (Berlin/Braunschweig): Infra Muros: Liminale Räume und das Verschwinden des Außen // Georg Dickmann, Experte für Science Fiction und Posthumanismus (Berlin): Narkopolis 2045. Was bleibt nach dem pharmakopolitischen Regime? // Dr. Asiem El Difraoui, Politologe/Filmemacher/Terrorismusforscher (Paris): Das blutende Meer – Zum Clash of Civilisations zwischen der arabisch-islamischen Welt und den Vereinigten Staaten von Europa

Performer*innen: Anne Tismer, Mélanie Fouché, Brigitta Schirdewahn, Edward Serban, Amahl Khouri, Korinna Krauss, Sina Heiss, Vedran Lovric

Konzept & Regie: Sebastian Blasius / Co-Autorin: Saskia Hennig von Lange / Raum: Frank Campoi / Video: Eric Berthiaume / Dramaturgie & Grafik: Daniel Franz / Technische Leitung: Andreas Rehfeld / Regieassistenz: Arne Schirmel / Choreografische Mitarbeit: Nuria Hoeyng / Pressearbeit: Kathrin Schäfer KulturPR

Verschwommen ist von außen durch den weißen Schleier zu erkennen, was drinnen geschieht. (…) Man ist stiller Zuhörer und Beobachter dieses langen Schauspiels, (…) man (ist) selbst ein Flüchtling, ein Ausgestoßener, denn es ist eine große Kluft zwischen Besucher und Redner gegeben und eindeutig zu spüren. Absichtlich dringen die Reden nicht nach außen, sind zu leise, unverständlich. Expertise für Experten, Theorien für Theoretiker. Knallhart wird so auch auf die Bildungsschere in unserer Gesellschaft angespielt. Wenn man nah an den Vorhang tritt und stillschweigend lauscht, versteht man einigermaßen, wovon gesprochen wird. Und das Nahdransein erlaubt wiederum die Entlarvung der gesamten Bühnensituation. (…) Dass die Konferenz im Jahr 2045 angesetzt ist, ergibt deswegen Sinn, da die Entwicklung bis dahin gut vorausgesagt werden kann. (…) Die sieben dargebotenen Vorträge stammen von sieben renommierten, existierenden Wissenschaftlern und Experten, die einen Blick (aus der) Zukunft wagen. (…) Blasius, seine Experten und die etlichen Performer (…) zeigen, wohin sich unsere Gesellschaft bis zum Jahre 2045 verändert haben wird. Soziales Fressen und Gefressen werden.“
tanznetz.de